Sonntag, 8. Februar 2009

Harry und Sally auf email

“Alle sieben Wellen” von Daniel Glattauer ist die Fortsetzung von „Gut gegen Nordwind“ (man sollte es zuvor gelesen haben) und erzählt, wie es mit Emmi Rothner und Leo Leike weiter geht, nachdem die intensive Email-Beziehung im ersten Teil scheinbar beendet war.

Und ich nehme es gleich vorweg: es geht fulminant weiter und es steht dem ersten Teil in nichts nach. Wieder kommt man nicht von los und liest das Buch an einem Stück durch. Und am Ende ist man glücklich. Nicht weil die Geschichte so ausgeht, wie sie ausgeht und auch nicht weil das Buch zu Ende ist (natürlich nicht!), sondern weil es ein großartiges Lesevergnügen war, wie man es ganz, ganz selten findet. Es ist nicht die Spannung, nicht die fantastische Story und auch nicht der Voyeurismus (den Verdacht hatte ich zunächst), es ist für mich die Authenzität, die Nachvollziehbarkeit, die unbedingte Nähe zu den beiden. Man schließt sie sofort ins Herz, man identifziert sich und erkennt sich selbst und lacht und weint (fast) und ist wütend und glücklich. Am Ende eben glücklich.

Der Email-Roman ist von Glattauer dabei in einer so großartigen Sprache geschrieben, die frei von Kitsch, intelligent, aber trotzdem so natürlich und ungekünstelt daherkommt, so das das Lesen zur reinsten Freude wird.

Es ist eine moderne Liebesgeschichte, die einen berührt. Sie wirft aber auch Fragen auf, die dem Leser auch nach dem Buch im Kopf bleiben: Wird man am Ende nur glücklich, wenn man an sich zuerst denkt? Wann beginnt der Betrug und Vertrauensbruch in einer Partnerschaft? Kann man mehrere Menschen zugleich lieben? Und hat man, wenn ja, einen Anspruch darauf? Darf man funktionierende (schönes Wort in diesem Zusammenhang) Partnerschaften zerstören?

Und dann muß ich unwillkürlich an den Film „Harry und Sally“ denken und den Satz: „Männer und Frauen können einfach keine Freunde sein. Es kommt ihnen immer irgendwann der Sex dazwischen.“ Da ist eben viel Wahres dran.

Ich empfehle dieses Buch (eigentlich beide Teile) ausdrücklich auch allen Männern, auch wenn es in den meisten Buchläden, die ich kenne auf diesen furchtbaren „Frauenbuchtischen“ liegt. Da gehört es einfach nicht hin.

Dienstag, 3. Februar 2009

Leider am Ende kein Licht

Der Thriller "Licht am Ende des Tunnels" von Klaus-Peter Wolf kommt in einer aufwendigen Verpackung inklusive einer kleinen Überraschung daher und macht so schon einmal Eindruck. Das Buch selber erscheint dann aber trotz Hardcover doch eher preiswert (dickes Papier, große Schrift, kein Schutzumschlag). Geschildert wird die Entführung des 16jährigen Millionärserben Robert Sonntag und ist auch vollständig aus seiner Perspektive erzählt. Ob diese Sprache tatsächlich, der eines heutigen Teenagers entspricht kann ich nicht wirklich sagen, hat mich aber nicht überzeugt. Der Eindruck, dass hier ein Erwachsener so klingen möchte als ob, ließ sich bei mir nicht abschütteln. Die Story ist sonst recht spannend und schnell gelesen (180 Seiten in Großschrift). Neben der eigentlichen Entführung, des Versuches zu fliehen und der aufkeimenden Todesangst geht es um fast philosophische Betrachtungen über den Sinn des Lebens und Wiedergeburt sowie Nah-Tod-Erfahrungen. Aber es geht auch um die immer mehr um sich greifende ¿moderne Unternehmensführung¿, die Gewinnmaximierung über alles stellt und klassische Unternehmertugenden vergißt. Und genau das sind für mich auch die interessantesten Passagen des Buches. Der eigentliche rote Faden: die emotionale oder seelische Verbundenheit Roberts mit seinem verstorbenen Großvater, der regelmäßig mit ihm spricht und ihn in Gefahrensituationen wie ein Schutzengel leitet, ist mir allerdings völlig suspekt. Ich glaube hier schießt der Autor über das Ziel hinaus und verleiht dem Buch einen stark esoterischen Beigeschmack, der leider ernstgemeint ist. Meiner Meinung nach kann sich das Buch nicht richtig entscheiden. Letztlich ist es kein Lebensratgeber, kein Jugendbuch und kein Thriller und es ist dem Autor auch nicht gelungen alles harmonisch zu verbinden. Wirklich schade ist aber, dass am Ende des Buches mehr Fragen offen bleiben als für einen Krimi gut sein kann. Die Geschichte bricht ab, wo andere erst anfangen und hier wäre ich nun wirklich gern "erleuchtet" worden.

Mehr geht nicht

Man hatte dich gewarnt. "Sorry" von Zoran Drvenkar ist ein dämonisches Buch. Du schlägst die erste Seite auf, liest und liest und liest ... und kannst nicht mehr aufhören. Dabei möchtest du, dass es endlich aufhört. Die Story verlangt dir einiges ab. Die brutale Hinrichtung einer unbekannten Frau ist nur der Beginn. Der Anfang einer atemberaubenden Geschichte - sehr schnell, kompromislos, direkt und präzise. Vier jungen Leute haben eine Agentur gegründet. Sie bieten als Dienstleistung an, sich für dich bei anderen zu entschuldigen. Und das Geschäft läuft sehr gut, überraschend gut. So viel Schuld ist in unserer Zeit abzutragen. Viel Arbeit für vier Einzelne. Doch dann wird es schwierig. Lars Meybach beauftragt die Agentur sich bei einer Toten zu entschuldigen und zwar für den Mord an dieser. Und auch die Leiche muss beseitigt werden. Die Situation eskaliert. Es gibt noch mehr Tote. Und es gibt Panik, Verrat, enttäuschte Freundschaft und Angst, Liebe, Freundschaft und noch mehr Angst. Und du bist immer mitten drin, ob du willst oder nicht. Es liegt an der Sprache. Kurz, unglaublich direkt und klar. Sicher, auch indem er dich direkt anspricht ist die Geschichte dir nah, ja gegenwärtig im Wortsinn. Alles im nervenaufreibenden Präsens. Du bist immer dabei - trotz der ständigen Perspektivwechsel oder gerade deswegen. Es ist dir aber auch egal warum, du blätterst einfach immer weiter und liest und liest und ... liest. Es geht um Schuld. Alles scheint zu verschwimmen. Wer trägt Schuld: Opfer und Täter sind klar, nur war das Opfer auch Täter? Warum fühlen sich Opfer schuldig. Wer ist schon frei von Schuld? Und dann die alte Frage: Ist Rache gerecht? Ist sie legitim? Oder macht sich der Rächer schuldig - unentschuldbar schuldig. Und auch eine für dich neue Frage: Gibt es zwischen Opfer und Täter auch sowas wie Liebe oder nur perverse Neigung. Ein schwieriges Thema. Alles geht so unglaublich schnell. Du versuchst zu verstehen. Warum und wann ist der Fehler passiert? Wann wurde eine falsche Entscheidung getroffen? Du weißt es nicht. Es passiert einfach und es passiert zwangsläfig und nachvollziehbar. Erschreckend plausibel und ohne erkennbares Versagen. Alles Zufall? Nein, nicht nur, aber eben auch. Ohne Schuld und doch unentschuldbar. Der beste Thriller den ich bislang gelesen habe und dabei nicht platt und trivial. Nicht einfach nur höllisch spannend, sondern auch unglaublich vielschichtig und sobald der Puls sich wieder beruhigt hat sehr nachdenklich.

Forschen noch einer moralischen Instanz

Im Thriller "Kritik der mörderischen Vernunft" von Jens Johler werden Wisenschaftler ermordet. Neurologen bzw. insbesondere Hirnforscher werden Opfer eines äußerst geschickt und planvoll vorgehenden Mörders, der sich selbst "Kant" in Anlehnung an den großen Philosophen aus Königsberg nennt. Der Journalist Troller und seine eng befreundete Kollegin Jane Anderson wittern eine große Story und versuchen den Fall aufzuklären und exklusiv darüber zu berichten. Dabei ist Troller von Anfang an selbst Teil des Verbrechens. Der Täter zitiert aus einer vor Jahren von Troller veröffentlichten Schrift und beruft sich auf diese, um seine Taten zu legitimieren. Denn auch wenn Troller die Morde selbst verurteilt, so ist die Motivation für ihn doch nachvollziehbar: Der Terror der Wissenschaft. Die Forschung hat längst menschliche Moral und Ethik beiseite geschoben und mehr noch; der Mensch ist nicht mehr Herr der Wissenschaft sondern Ziel und Opfer der Forschung. Das Buch ist spannend bis zur letzten Seite und es ist ganz gewiss einer der besten Thriller der letzten Zeit. Perfekt, schnell, stimmig und wirklich gut geschrieben. Aber mit der letzten Seite, der Auflösung und Klärung ist das Buch noch nicht zu Ende. Es läßt seine Leser nachdenklich und mich auch ein wenig wütend zurück. Man erfährt nebenbei eine Menge über den aktuellen Stand der Hirnforschung und ergänzt dies zwangsläufig um Fakten und Hypothesen aus dem Internet. Darf Wissenschaft so weit gehen? Sind sich Forscher ihrer enormen Verantwortung bezüglich der Verwendung ihrer Ergebnisse wirklich bewusst? Jens Johler und sein Held im Buch tendieren wohl zu einem klaren "Nein". Die Menschheit steuert in eine Katastrophe, weil sie die neu entwickelten Möglichkeiten nicht mehr beherrscht, sondern von diesen beherscht wird. Besonders gefährlich zeigt sich im Buch eine Gruppe von Forschern, "Der Club", die den freien Willen beseitigen wollen und deswegen schon heute seine Existenz leugnen. Scheinbar fehlt diesen Leuten jegliche moralische und ethische Instanz, die als Maßstab für ihr Handeln dienen könnte. Denn diese Wissenschaftler sind gottlos und betrachten Religion als besondere Form der Geisteskrankheit bzw. Wahnvorstellung. Puh...ja, und hier muss ich gestehen habe ich sehr geärgert. Ich bin immer empfindlich, wenn Religion und moralisches Handeln gleichgesetzt werden. Aber mehr noch, ich neige dazu den menschlichen Drang nach Erkenntis für grundsätzlich gut und unterstützenswert zu halten. Wissenschaft darf sich nicht mit Tabus und Schranken umgeben. Selbstverständlich und auch leider wird es immer auch die andere Seite geben; den Versuch neue Erkenntnisse zur Sicherung und Ausweitung von Macht zu nutzen oder Andersdenkende und Andersgläubige zu vernichten. Hier muss Moral und Ethik meiner Meinung nach ansetzen. Und vielleicht wäre man ohne religiösen und sonstigen weltanschaulichen Fanatismus schon in einer viel besseren Welt.